Die
Tradition, auf Wanderschaft zu gehen, hat ihren Ursprung im 12. und 13.
Jahrhundert. Damals war sie Pflicht, denn die Handwerksmeister, welche die
Gesellen ausgebildet hatten, wollten natürlich ihr Territorium für sich
behalten. Lange Zeit war sie ein Muss für diejenigen, die eine
Meisterausbildung beabsichtigten. Handwerksgesellen, die sich nach ihrer dreijährigen
Ausbildung dazu entschließen auf die Walz zu gehen, ziehen von Ort zu Ort, um
auf Baustellen ihre erlernten Arbeitstechniken unter Beweis stellen zu können.
Ziel der Walz ist es, Land und Leute kennen zu lernen, den eigenen Horizont zu
erweitern, sich beruflich weiterzubilden und neue Arbeitstechniken zu erlernen.
Im 18. Jahrhundert gehörte die Walz zur Ausbildung in den Zunftbetrieben, die
es seit dem Mittelalter gibt. Die Walz ist nicht nur etwas für Zimmerer. Grundsätzlich
kann jeder Handwerksgeselle auf Wanderschaft gehen, also auch Tischler,
Steinmetze oder Maurer. Voraussetzungen, um auf die Walz gehen zu dürfen, gibt
es allerdings schon: Man muss einen Gesellenbrief besitzen, ledig, kinderlos,
unter 30 Jahren und schuldenfrei sein. Außerdem darf der Reisende nicht
vorbestraft sein, darf kein Handy besitzen und sollte keinen festen Wohnsitz
haben. Wer auf Walz ist, kann prinzipiell überall dorthin reisen, wo es seinen
Beruf gibt und er neue Erfahrungen sammeln kann. Auch wenn die Walz eine europäische
Tradition ist, haben Handwerksgesellen heutzutage die Möglichkeit, in ferne Länder
zu reisen und dort mehr über ihren Beruf, über Land und Leute zu erfahren. Wie
lange man auf die Walz geht, hängt von der Schacht, also dem Verband ab, dem
man angehört. In der Regel dauert die Wanderschaft drei Jahre und einen Tag. Es
gibt aber auch Verbände, bei denen es üblich ist, nur zwei Jahre und einen Tag
unterwegs zu sein.
Die
Verabschiedung der Gesellen, die auf Wanderschaft gehen, erfolgt auf
traditionelle Weise. So geschehen am Ostermontag in Reetz. Johannes Siemoneit,
der im vergangenen Jahr seine Ausbildung zum Dachdecker beendet hat, entschied
sich sofort für die Wanderschaft. 3 Jahre und 1 Tag darf er sich seinem
Heimatort nun nicht mehr als 60 km nähern. „Herausgeholt“ wurde er
von einer Gruppe lustiger Wandergesellen, mit denen er bereits über Ostern
Abschied von Familie und Freunden gefeiert hat. Vor dem Abmarsch musste Johannes
Siemoneit am Ortseingangsschild ein Loch von 80 cm Tiefe mit bloßen Händen
graben. Dort hinein kamen eine Flasche Bier, eine Flasche Hochprozentiger und
eine leere Flasche, gefüllt mit geschriebenen Wünschen von Eltern und
Freunden. Nach seiner Rückkehr darf er dann alles wieder ausgraben. Seine
Wandergesellen begleiteten seine Bemühungen mit vielen mehr oder weniger ernst
gemeinten Ratschlägen und Liedern. Als der Abschied nahte, gab es dann doch Tränen,
besonders bei Mutter Diana Siemoneit. Immerhin wird sie ihren Sohn 3 Jahre nicht
sehen, bestenfalls per Telefon von ihm hören, denn auch ein Handy ist während
dieser Zeit nicht erlaubt. Das Klettern über das Ortsschild war dann der Beginn
einer großen Reise – sobald der Geselle auf der anderen Seite steht, darf
er nicht mehr zurück blicken. Gemeinsam mit seinen Wandergesellen geht es für
Johannes Siemoneit nun in Richtung Leipzig und anschließend an den Chiemsee.
Dort ist die erste Arbeitsstelle bereits fest.
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