In den letzten Stunden vor seiner Heimkehr nach Reetz ging Johannes Siemoneit ganz schön die Pumpe. 3 Jahre lang war er auf der Walz – sogar in Übersee. Aber je näher er dem Reetzer Ortsschild kam, umso nervöser wurde er und die Hände wurden feucht. Zumal es seine Wanderkameraden absolut nicht eilig hatten, denn auf dem Weg kurz vor Reetz hatten Freunde und Bekannte viele Kisten mit Getränken und Essen platziert. Und natürlich mussten diese erst geleert werden. In der Gärtnerei wollte Johannes Siemoneit schnell noch 2 Rosen erwerben – leider war aber schon geschlossen. Aber zufällig kam Inhaberin Anett Blasche gerade gefahren und gab gern 2 wunderschöne Rosen heraus. Als Bezahlung erbat sie sich ein gemeinsames Foto mit den Wanderburschen. Kurze Zeit später gabelte ein Traktorfahrer die Truppe auf und kutschierte sie ein Stück des Weges. Etwa 100Meter vor dem Ortseingangsschild formierten sich alle zum Spinnermarsch – man lief in Schlangenlinien quer über die Straße. Zwischendurch gab es dann den Rundklatsch, bei dem sich alle an den Händen hielten und ein gemeinsames Lied sangen. Verwundert hielten die Autofahrer an, aber keiner wurde sauer über die Zwangspause. Schließlich gaben die Wanderkameraden dem Drängen des Heimkehrers nach. Über das Ortsschild kletterte er wieder in seine Heimat und fiel Eltern, Geschwistern und Freunden in die Arme. Da wurde dann doch das eine oder andere Tränchen verdrückt. Nur die beim Abschied vergrabene Kiste wurde nicht gefunden – klar ist nun auch, warum. Beim Auszug stand das Schild etwas weiter entfernt, dieses überlebte damals den Auszug nicht und wurde erneuert und damit versetzt – man grub also schlicht und einfach an der falschen Stelle! „Aber die finde ich noch“, so Johannes Siemoneit beim Gespräch.
Um auf Wanderschaft gehen zu könne, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Man muss eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, darf nicht vorbestraft sein, darf noch keine Familie haben und muss unter 30 Jahre alt sein. Dann kann es per pedes durch die Welt gehen, Bus und Bahn sind nicht erwünscht, aber mitunter unumgänglich. Die ersten Tage waren nicht einfach – es gab viele Blasen an den Füßen. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich das richtige Schuhwerk gefunden hatte“, so Johannes Siemoneit. Um Arbeit brauchte man sich keine Sorgen zu machen, die längste Suche dauerte 4 Tage. Im Winter wurde auch in anderen Berufen gearbeitet. So beschäftigte sich Johannes Siemoneit mit dem Thema Lehmputz, also ökologisches Putzen. Da war er in der Schweiz und hat dort auch Kurse belegt. Seine erste Arbeitsstelle auf der Walz war bei Wiesbaden. Dort fand er einen 1-Mann-Betrieb. Der Inhaber war Zimmermann, Johannes Siemoneit Dachdecker – so ergänzte man sich super.
Auf der Wanderschaft traf man auch alte Bekannte wieder. Mit 2 von ihnen begab sich Johannes Siemoneit auf eine weiter Reise – nach Südamerika. Da war nicht viel anzufangen mit dem Schulenglisch, dort untern sprechen die meisten spanisch. Aber wenn man drauf angewiesen ist und die Sprache täglich hört, lernt man sie schnell. „ Nach den knapp 4 Monaten dort konnten wir uns alle recht gut verständigen“, so Siemoneit. Die Arbeitsbedingungen sind natürlich mit denen in Europa überhaupt nicht zu vergleichen, alles ist dort sehr bescheiden gebaut. In Santiago de Chile lernten die 3 Wanderer einen deutschen Zimmermann kennen. Dieser baute gerade das erste zertifizierte deutsch-chilenische Fachwerkhaus – und sie haben es 1 ½ Monate mitgebaut. Bolivien hat Johannes Siemoneit am besten gefallen, da dort alles noch sehr traditionell ist und die Menschen sehr offen sind. Chile ist schon sehr europäisch und auch sehr teuer.
Es gab auch ganz unkonventionelle Hilfe für die Wanderburschen. Mit 13 Kameraden war man in der Schweiz unterwegs, es regnete wie aus Gießkannen. Die Burschen trafen auf einen Herrn, der sie spontan in seine Gaststätte einlud und bewirtete. Plötzlich verschwand er und tauchte kurze Zeit darauf mit einer Frau wieder auf. Diese war Inhaberin einer Jugendherberge und stellte den Jungs für die Kommende Nacht jeweils ein Einzelzimmer zur Verfügung – ohne Bezahlung. Mit der Schweiz verbindet Johannes Siemoneit sein wohl auch lustigstes Erlebnis. Er und sein Begleiter trafen im Tessin einen Schlosser, der ein altes Blechbobbycar aus den 50er Jahren besaß. Mit diesem wollte man natürlich die tollen Berge herunter fahren. So wurden Siemoneits Kameraden Teile von alten Motorradreifen und die Schuhe gebunden, damit er bremsen konnte. Mit fast 60 Sachen ging es dann den Berg hinunter – nach 4 Kilometern brach leider die Achse des Gefährts.
Kontakt nach Hause zu halten war nicht so einfach, denn die heute üblichen Handys und Smartphones zu besitzen und mitzunehmen, war verboten. Aber sie durften genutzt werde, falls jemand dem Wanderburschen eins zur Verfügung stellt. Dann konnte man auch mal nach Hause anrufen oder eine Email schicken. Meist aber blieb nur die gute, alte Telefonzelle.
Jetzt heißt es für Johannes Siemoneit erstmal, im Kreise der Familie ein wenig auszuspannen. Außerdem gibt es viel Papierkrieg zu erledigen, wie neuer Ausweis, Besuch beim Arbeitsamt usw. Und dann geht es auf die Suche nach einem neuen Job – diesmal aber nicht so weit weg!