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Am 11.11.1967 hieß es in Reetz das erste Mal „Bubi fass an“. Elf Männer hatten die Geschicke in die Hand genommen, um der Bevölkerung einen lustigen Abend zu bieten. Und es wurde keine Eintagsfliege – 25 Jahre lang begeisterten die Karnevalisten der Reetzer Karnevalsgesellschaft (RCG) Gäste aus nah und fern. 224 Veranstaltungen wurden auf die Beine gestellt, mehr als 41.000 Gäste konnten begrüßt werden. Und das nicht nur aus deutschen Landen, aus Kuba, Vietnam, Österreich, Frankreich, der UdSSR, Amerika und dem Kongo waren Gäste angereist.

Die Reetzer Narren verglichen sich gern mit der damals populären Sendung „Außenseiter – Spitzenreiter“. Denn welcher Olympiakämpfer von Moskau trug noch nach 25 Jahren seinen Freizeitanzug? Die Mitglieder des Elferrates trugen ihn bis zum Finale 1992 als „Uniformjacke“. Nach Olympia gab es die Uniformen frei zu kaufen. Schneidermeister Horst Lange änderte die Revers in eine rote Farbe – fertig waren die Jacken für den Elferrat!

Karnevals – Urgestein Helmut Jakobi erinnert sich gern an die damaligen Zeiten. Als er 1967 als Lehrer nach Reetz kam, waren die Planungen schon in vollem Gange. Die jungen Männer bauten damals einen Schießplatz. Nach Feierabend wurde natürlich noch ein Bierchen getrunken. Siegfried „Pitti“ Brüning meinte dann: „Können wir nicht mal was Lustiges hier machen? Ein bisschen Kultur ins Dorf bringen?“ So entstand die Idee. „Wir saßen bei Werner Loth im Wohnzimmer, haben uns die Köpfe heiß geredet und die Bude vollgequalmt“ erinnert sich Helmut Jakobi. Die größte Diskussion gab es um den Schlachtruf, man wollte nichts aus dem „Westen“ kopieren. Üblich war es zur damaligen Zeit, dass die Bevölkerung bei allen Vorhaben fleißig mit anfassen musste. So entstand am Ende „Bubi, fass an“. Requisiten, Saalaufbau und Abbau geschah in Eigenregie. Schließlich waren aus jeder Berufsgruppe Mitglieder dabei. Um so viele Gäste wie möglich unterzubringen, wurden lange Tischplatten aus Holz gebaut, welches Dachdeckermeister Rudolf Kube besorgte. Auch Luftballons für die Dekoration waren damals eher Bückware. Aber Friseurmeister Klaus Kube hatte gute Beziehungen zu einem Geschäft in Belzig. Um immer wieder neue Gäste anzuziehen überlegte man, welche Zugaben zu den Eintrittskarten wirksam wären. Oftmals wurden zu den Karten 2 Flaschen gutes Bier und eine Flasche Wein gegeben. Aber auch die Outfits sollten stimmen. Die ersten Karnevalsmützen wurden aus Leder und mit Lochzangen selbst gefertigt – waren aber nicht das Gelbe vom Ei. Man tat eine Firma in auf, die so etwas herstellte. Werner Loth organisierte einen Bus der „Waldmühle“ und mit selbst angebautem Spargel im Gepäck ging es los. Für teures Geld erhielten alle ihre Mützen und waren stolz wie Hanne. Bezahlt hat natürlich jeder selbst. Auch alle anderen Kostüme wurden selbst angefertigt, mitunter konnte man etwas Stoff oder Zubehör spendieren. Die Materialbeschaffung für die Auftritte war nicht einfach. Für den Gassenhauer „3 Apfelsinen im Haar“ war es besonders schwer. Die Apfelsinen hatte man sich von Weihnachten aufgehoben. Aber woher zur damaligen Zeit Bananen nehmen? Also wurden welche aus Pappe gebastelt und in die Baströckchen eingearbeitet. Auch sämtliche Texte wurden selbst geschrieben. Um Anregungen zu erhalten, bat Helmut Jakobi seinen Bruder aus der Karnevalshochburg Köln um Bücher und Hefte zum Karneval. Aber man konnte sich damals ja nicht sicher sein, ob diese überhaupt ankamen – anscheinend passierten sie die Grenze problemlos.

Das ganze Jahr über wurden fleißig Lieder aus dem Radio aufgenommen, die für Auftritte geeignet waren. Leider gab es nicht immer entsprechende Noten. Horst Bendyk, der mit seiner damaligen Gruppe „Melodie und Rhythmus“ nach dem Ausscheiden von „Concordia“ (sie begleitete den RCG viele Jahre) die Veranstaltungen musikalisch umrahmte, hatte nun die schwere Aufgabe, die Noten zum einen für seine Band zu schreiben und sie zum anderen auch an die Stimmlagen der Sänger anzupassen. Eine Sisyphusarbeit!.

Seit 1973 waren die „Flämingspatzen“ dabei. Die Kinder ab 3 Jahre liebten die Auftritte – zumal man dann ja auch etwas länger aufbleiben durfte. Ob als Frösche oder Hochzeitspaare – sie erhielten immer viel Applaus.

Neben Reetz hatte der RCG auch Gastauftritte in anderen Orten. Besonders beliebt waren die in der Kampfgruppenschule Schmerwitz – da kam man ja so ohne weiteres auch nicht rein. Der damalige Schulleiter war ein großer Karnevalsfan. Die Auftritte dort wurden gern gemacht, es gab eine gute Gage und gute Verpflegung – denn wo bekam man damals schon Radeberger Bier und Pilsner Urquell! Auch in Belzig gastierte der RCG. Damals war er noch nicht so bekannt und Karnevalspräsident Peter Kiep kündigte sie mit den Worten an: „Jetzt begrüßen wir die Hinterwäldler“. Was der RCG nicht so toll fand, aber nach dem Auftritt stellte sich heraus, das auch die Hinterwäldler was konnten. Weitere Gastauftritte gab es in Lindau und in „Alte Hölle“.

Besonders beliebt waren die Büttenreden und Soloauftritte. Bei einem Besuch des Brücker Karnevals waren dort zwei in einem Zwiegespräch auf der Bühne. Das wollen wir auch, dachte sich Helmut Jakobi – und so entstanden Bob und Bill. In Wolfgang Striebing fand er einen begeisterten Mitstreiter. So begeisterten die Beiden 25 Jahre lang das Publikum. Wurden Bob und Bill angekündigt, traute sich keiner der Gäste mehr aufs Klo, um ja nichts zu verpassen. In den Büttenreden wurden meist Probleme aus dem Ort aufgegriffen, sei es der Straßenbau, die Versorgung, das mangelnde Wasser im Sommer oder die Müllabfuhr. Das kam auch durch die „Flämingmuhmen“ zur Sprache und im Reetzer Traditionslied, geschrieben von Werner „Hackl“ Senst und Ulla Friedrich, bei dem immer alle Gäste lauthals mitsangen – man hatte den Text auf die Eintrittskarten gedruckt.

Aber es gab auch Pleiten, Pech und Pannen. So verletzte sich Siegfried Brüning – genannt „Kanonen Pitti“ – beim Abfeuern selbiger, da beim Laden wohl Zigarettenasche ins Pulver kam. Aber man hatte ja mit Dr. Volkmar Senst einen Arzt im Elferrat. Ihm konnte es passieren, dass mitten im Programm ein Anruf kam und ihn zu einem Notfall ins Belziger Krankenhaus beorderte. Als der Saal in der Gaststätte renoviert wurde, wurde auch das Parkett erneuert. Das zog sich bis kurz vor Veranstaltungsbeginn hin, erst Donnerstag wurde alles fertig. Freitag war die erste Veranstaltung, Keiner dachte an der frischen Parkettkleber, als Freitags die Öfen angeheizt wurden. Heinz Unterschütz meinte es wie immer gut mit den Heizen und ballerte ordentlich was rein. Die Folge war – am Nachmittag quoll der schwarze Kleber aus den Fugen. Schnell wurden die Stellen mit Pappe und starkem Papier abgedeckt, aber einige Flecken an Kleidung und Schuhen waren nicht zu vermeiden.

25 Jahre begeisterte der RCG Besucher aus nah und fern. Dann hatte 1992 das lustige Treiben ein jähes Ende. Die Gaststätte in der Mitte des Dorfes war Eigentum des Konsums und wurde an eine Diskothek verpachtet. Es wurde noch ein Versuch im Saal des jetzigen „Bauernstüble“ gestartet, aber dieser Saal war einfach zu klein. Nicht nur die Reetzer bedauerten das Ende des RCG. „Wollt Ihr nicht noch mal...“ hieß es oft.

Auch heute noch werden die Mitglieder des RCG auf ihre Karnevalszeit angesprochen. Beim Umzug zur 850 Jahrfeier in Reetz kam schon ein bisschen Wehmut auf, als ehemalige Mitglieder in ihren damaligen Kostümen auf einem bunt geschmückten Wagen durchs Dorf fuhren. Auf Feiern wird gern in Erinnerungen geschwelgt, einfach nach dem Motto: „Aber schön war es doch“!

 

 
 
 
 

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